RATIS Rechtsanwaltsgesellschaft

Betriebsbedingte Kündigung – was tun? Infos für Arbeitnehmer

Die betriebsbedingte Kündigung

Betriebsbedingte Kündigungen treffen meist mehrere Mitarbeiter eines Unternehmens und können nicht selten auch gesellschaftspolitisch relevant sein – etwa wenn ganze Sparten und Abteilungen eines größeren Unternehmens wegrationalisiert werden. Doch welche Ursachen rechtfertigen  eine betriebsbedingte Kündigung und wie wird entschieden, wer eine solche Kündigung erhält?

Betriebsbedingte Kündigungen zeichnen sich üblicherweise schon länger ab. Neue Produktionsmethoden, Standortverlagerungen, Kostensenkungen, Outsourcing: Das sind nur einige wenige Anlässe für betriebsbedingte Kündigungen. Aber was ist zulässig, was ist nicht erlaubt? Welche Rechte haben Arbeitnehmer? Wie kann man sich wehren – und was ist im Fall des Falles zu tun?

Gründe für eine betriebsbedingte Kündigung

Einer betriebsbedingten Kündigung müssen stets dringende betriebliche Erfordernisse zugrunde liegen. Eine Weiterbeschäftigung im Unternehmen ist dann nicht mehr möglich. Zuvor muss der Arbeitgeber allerdings anderweitige Einsatzmöglichkeiten im Unternehmen prüfen. Kann der Arbeitnehmer beispielsweise an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Zweigstelle beschäftigt werden oder findet sich eine Arbeit in einer anderen Filiale desselben Unternehmens, ist eine Kündigung aus betrieblichen Gründen nicht zulässig (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1b, Satz 3 KSchG).

Eine betriebsbedingte Kündigung kann inner- oder außerbetriebliche Ursachen haben:


Innerbetriebliche Ursachen (Auswahl):

 

Außerbetriebliche Ursachen (Auswahl):

  • Umsatzrückgang
  • Sinkende Umsätze/Nachfrage

Egal ob inner- oder außerbetriebliche Ursache: Die Gründe müssen seitens des Unternehmens notfalls auch vor Gericht nachvollziehbar dargestellt werden können. Wenn der Arbeitgeber behauptet, dass sich eine sinkende Nachfrage direkt auf die Beschäftigungsmöglichkeit auswirkt, trägt er hierfür auch die Beweislast.

Wann ist eine betriebsbedingte Kündigung zulässig?

Eine betriebsbedingte Kündigung ist wie jede Kündigung eine einseitige Willenserklärung. Das bedeutet, dass in diesem Fall nur der Arbeitgeber unterschreiben muss.  Darüber hinaus sind bestimmte Formalien einzuhalten: Eine wirksame Kündigung muss eindeutig erklärt und dem Empfänger zugehen. Das Kündigungsschreiben gilt dann als zugestellt, wenn es in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, etwa indem es ihm persönlich überreicht oder in seinen Briefkasten geworfen wird.

Auch eine betriebsbedingte Kündigung kann nicht von heute auf morgen erfolgen. Der Arbeitgeber ist an die im Arbeitsvertrag vereinbarte Kündigungsfrist gebunden. 

Wie erfolgt eine Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung?

Kommt es infolge einer Insolvenz zu einer Stilllegung des ganzen Betriebs, muss das Unternehmen letztlich alle Mitarbeiter entlassen.  Anders verhält es sich, wenn beispielsweise nach jahrelangen Umsatzeinbrüchen zwar große Teile der Belegschaft entlassen werden müssen aber der Betrieb mit einigen Mitarbeitern fortgeführt wird. Doch kann der Arbeitgeber willkürlich bestimmen, wer gekündigt wird? 


Sozialauswahl: Wer muss zuerst gehen?

Anders als bei einer personenbedingten oder verhaltensbedingten Kündigung, lässt sich der Kündigungsgrund nicht an einer Person festmachen. Daher fällt es auch Arbeitgebern oft nicht leicht, sich von Mitarbeitern zu trennen. 

Arbeitnehmer, die keinen Kündigungsschutz haben – z.B. jene, die sich noch in der Probezeit befinden – müssen zuerst entlassen werden. Für alle anderen Arbeitnehmer gilt, dass bei der Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter bestimmte Kriterien einzuhalten sind. Dieser Prozess wird Sozialauswahl genannt.  Ziel ist es, willkürliche Kündigungen zu vermeiden und sicherzustellen, dass zunächst den am wenigsten schutzbedürftigen Mitarbeiter gekündigt wird.

Personen, die einen Sonderkündigungsschutz haben – dazu zählen z.B. Schwangere, Betriebsräte und Schwerbehinderte – müssen nicht an der Sozialauswahl teilnehmen; sie sind unkündbar.


Kriterien der Sozialauswahl

Die Sozialauswahl kann nur zwischen Mitarbeitern erfolgen, die dieselbe bzw. eine ähnliche Tätigkeit ausüben oder diese Tätigkeit nach einer gewissen Einarbeitungszeit ausüben könnten (horizontale Vergleichbarkeit). Demnach ist es regelmäßig nicht möglich, einen Verkäufer im Außendienst mit einem Produktionsmitarbeiter zu vergleichen. Aufgabengebiet und Kompetenzen sind in diesem Fall wohl zu unterschiedlich – ein problemloser Austausch der Positionen ist in der Regel nicht möglich.

Für die Sozialauswahl sind bestimmte Kriterien heranzuziehen:

  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
    Ausschlaggebend ist, wie lange ein Mitarbeiter bereits im Unternehmen beschäftigt ist. Mitarbeiter, die schon einige Jahre im Betrieb tätig sind, haben bessere Karten als erst kürzlich eingestellte Beschäftigte.
  • Lebensalter
    Ältere Mitarbeiter sind schutzbedürftiger als ihre jungen Kollegen, da sie sich in der Regel schwerer tun, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.
  • Unterhaltspflichten
    Mütter und Väter, die für ihre Kinder sorgen bzw. Unterhalt zahlen müssen, zählen zu den besonders schutzbedürftigen Mitarbeitern. Auch der Familienstand spielt reine Rolle, da Ehepartner – anders als bloße Lebensgefährten – einander Unterhalt schulden.
  • Schwerbehinderung
    Auch Menschen mit Beeinträchtigungen genießen einen höheren Schutz, da auch diese sich am Arbeitsmarkt eher schwerer tun.  Zu beachten ist aber, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen zusätzlich der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf.

Punktesystem

Die Reihenfolge der oben aufgelisteten Kriterien stellt keine Priorisierung dar – alle haben grundsätzliches gleiches Gewicht. Dennoch hat der  Arbeitgeber im Zuge der betriebsbedingten Kündigung die Möglichkeit, einzelnen Kriterien größeres Gewicht beizumessen. Jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Sozialkriterien ausreichend berücksichtigt werden.  

Dazu haben sich in der Praxis Punktesysteme bewährt, die allerdings nicht verpflichtend anzuwenden sind. Die Punkte, die ein Mitarbeiter in den einzelnen Kriterien erreicht, sind zu addieren und anschließend mit der Gesamtpunktezahl der anderen Mitarbeiter zu vergleichen. Die Mitarbeiter mit den wenigsten Punkten fallen der betriebsbedingten Kündigung zum Opfer. Vom Bundesarbeitsgericht (BAG) anerkannt und üblich sind beispielsweise folgende Varianten der Punktevergabe:

Punkte Variante 1 Punkte Variante 2 Punkte Variante 3
Alter 1 Punkt pro Lebensjahr 1 Punkt pro Lebensjahr (max. 55 Punkte) 1 Punkt pro Lebensjahr
ab dem vollendeten 25. Lebensjahr (max. 35 Punkte)
Betriebszugehörigkeit 1 Punkt pro Jahr 1 Punkt bis zum 10. Jahr
2 Punkte ab dem 11. Jahr (max. 70 Punkte)
2 Punkte pro Jahr (max. 70 Punkte)
Unterhaltspflichten Ehepartner: 4 Punkte

2 Punkte je unterhaltsberechtigtem Kind
Ehepartner: 8 Punkte
4 Punkte je unterhaltsberechtigtem Kind
6 Punkte je unterhaltsberechtigtem Kind
Schwerbehinderung Schwerbehinderung über 50: 5 Punkte
Je 1 Punkt für weitere 10 Grad der Schwerbehinderung

Die Berechnungsvariante kann unter Umständen der entscheidende Faktor sein, wenn es um die Entscheidung für oder gegen einen Mitarbeiter geht, wie nachfolgendes Beispiel zeigt:

  • Mitarbeiter A ist 50 Jahre alt und seit 2 Jahren im Betrieb. Er hat keinen Ehepartner aber 3 unterhaltspflichtige Kinder.
  • Mitarbeiter B ist 41 Jahre alt und bereits seit 12 Jahren im Unternehmen. Er ist verheiratet und hat 1 Kind. 

In diesem Beispiel vergleichen wir die Ergebnisse der Varianten 1 und 3 miteinander:

Beispiel mit Variante 1

Alter Betriebszugehörigkeit Unterhaltspflichten Gesamt
Mitarbeiter A (1*50)= 50 (1*2)= 2 (2*3)= 6 (Kinder) 58
Mitarbeiter B (1*41)= 41 (1*12)= 12 4 (Ehepartner) +
(2*1) = 2 Kinder
59

Beispiel mit Variante 3

Alter Betriebszugehörigkeit Unterhaltspflichten Gesamt
Mitarbeiter A 26 (2*2) = 4 (6*3) = 18 48
Mitarbeiter B 17 (2*12) = 24 (6*1) = 6 Kinder 47

*Zur Erinnerung: Gezählt wird bei Variante 3 erst ab dem 25. Lebensjahr. Dann jeweils 1 Punkt pro vollendetem Jahr.

Wenn wir die Berechnungskriterien der Varianten 1 und 3 anwenden und gegenüberstellen, kommen, wenn auch knapp, unterschiedliche Gesamtpunkte heraus.  Während Mitarbeiter A Berechnungsvariante 3 bevorzugen würde, wäre Mitarbeiter B mit Variante 1 glücklich. Die Entscheidung, welche der Varianten zum Einsatz kommt, ist allerdings dem Arbeitgeber vorbehalten. 

Neben den drei vorgestellten Berechnungsmöglichkeiten gibt es noch andere Varianten, die der BAG ebenfalls in mehreren Einzelfällen bestätigt hat. Entscheidet sich der Arbeitgeber für ein bisher nicht abgesegnetes Punktesystem, ist stets zu prüfen, ob die Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung  ausreichend berücksichtigt werden und kein extremes Missverhältnis entsteht. Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, wird nur in Variante 2 das Kriterium Schwerbehinderung berücksichtigt. Dies liegt daran, dass das Merkmal Schwerbehinderung vor dem 01.01.2004 im § 1 Abs.3 KSchG nicht vorkam.

Um ein ausgewogenes Verhältnis der Altersstruktur zu bewahren, kann es zulässig sein, die Sozialauswahl innerhalb verschiedener Altersgruppen anzuwenden. Statt also alle Mitarbeiter für die Sozialauswahl in einen Topf zu werfen, bilden einige Arbeitgeber Altersgruppen: z.B. eine Gruppe mit Mitarbeitern, die 20 bis 30 Jahre alt sind, eine zweite mit 30-40-Jährigen, eine dritte mit 40-50-Jährigen und eine mit Mitarbeitern, die 50+ sind. Innerhalb der einzelnen Gruppen sind dann Mitarbeiter zu bestimmen, die für eine betriebsbedingte Kündigung infrage kommen.  


Sonderfall Leistungsträger

Einen Sonderfall stellen Leistungsträger dar. Dazu zählen jene Mitarbeiter, die besonderes Know-how besitzen, das beispielsweise aufgrund des Fachkräftemangels nicht leicht zu ersetzen und für den Betriebserfolg zwingend notwendig ist. Sofern der Arbeitgeber dies nachvollziehbar begründen kann, dürfen diese Personen – unabhängig von der Sozialauswahl – ihren Job behalten. 


Namensliste

Verfügt ein größeres Unternehmen über einen Betriebsrat, ist es durchaus üblich, in Abstimmung mit der Geschäftsführung, eine Namensliste (umgangssprachlich auch „Todesliste“ genannt) mit zu kündigenden Mitarbeitern zu erstellen. 

Falls Sie oder einer Ihrer Bekannten bzw. Freunde auf solch einer Liste stehen, können wir die Zulässigkeit rechtlich überprüfen. Es kann nämlich durchaus vorkommen, dass der Arbeitgeber gewisse Richtlinien verletzt und bestimmte Kriterien nicht ausreichend berücksichtigt hat.


Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung?

Wenn Sie eine Kündigung erhalten haben, sollten Sie diese umgehend von einem Anwalt für Arbeitsrecht überprüfen lassen. Er prüft, ob Sie eine Abfindung rausholen können und wie hoch diese ausfallen wird. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Eine erste Beratung durch unsere Kanzlei ist immer kostenlos und verpflichtet Sie zu nichts.

Die mobile Version verlassen